Pressemitteilung
Endlich nachgewiesen: Ur-Sterne außerhalb unserer Galaxis
17. Februar 2010
Neue Beobachtungen mit dem Very Large Telescope der ESO haben die urtümlichsten Sterne außerhalb unserer Heimatgalaxie ausfindig gemacht – deren Existenz war zwar vermutet worden, die Sterne hatten sich allerdings bis jetzt einem direkten Nachweis entzogen. Die Beobachtungen lösen ein wichtiges astrophysikalisches Rätsel um die ältesten Sterne in unserer galaktischen Nachbarschaft und bringen das Verständnis der frühesten Sterne im Universum einen entscheidenden Schritt voran.
“Wir haben herausgefunden, was die bisherigen Fahndungsmethoden übersehen haben”, sagt Else Starkenburg, die Erstautorin des Fachartikels, in dem die neuen Ergebnisse vorgestellt werden. “Dank unseres verbesserten Ansatzes konnten wir die primitiven, urtümlichen Sterne, die sich zwischen Sternen anderer, häufigerer Sorten verstecken, ausfindig machen.”
Die betreffenden Sterne haben sich direkt aus Materie gebildet, die bereits kurz nach dem Urknall vorhanden war, vor 13,7 Milliarden Jahren. Ihr Gehalt an chemischen Elementen schwerer als Wasserstoff oder Helium ist mehr als tausend Mal geringer als bei der Sonne. Dem Sprachgebrauch der Astronomen folgend heißen solche Sterne „extrem metallarm“ [1]. Sie gehören zu einer der ersten Sterngenerationen in unserer kosmischen Nachbarschaft, sind äußerst selten, und wurden bislang hauptsächlich in unserer Heimatgalaxie, der Milchstraße, beobachtet.
In den herkömmlichen Modellen entstehen größere Galaxien wie unsere Milchstraße durch Verschmelzung kleinerer Galaxien. Die „primitiven“, extrem metallarmen Sterne, die wir in unserer Milchstraße finden, sollten aus den Zwerggalaxien stammen, aus denen die Milchstraße entstanden ist, und solche Sterne sollten sich ganz allgemein auch in anderen Zwerggalaxien finden. Doch das schien bislang nicht der Fall: „Bislang waren die Hinweise auf die Existenz solcher Sterne sehr spärlich“, erklärt Koautorin Giuseppina Battaglia. „Große Durchmusterungen, die in den letzten paar Jahren durchgeführt wurden, zeigten deutliche Abweichungen zwischen den ältesten Sternpopulationen in der Milchstraße und in den Zwerggalaxien. Das war nach den gängigen Modellen nicht zu erwarten.“
Chemische Häufigkeiten werden durch die Messungen von Spektren bestimmt, die eine Art chemischen Fingerabdruck eines Sterns liefern [2]. Das Dwarf galaxies Abundances and Radial-velocities Team (wörtlich die „Gruppe für die [Untersuchung der chemischen] Häufigkeiten und Radialgeschwindigkeiten von Zwerggalaxien“) [3] benutzte das Instrument FLAMES am Very Large Telescope der ESO, um die Spektren von mehr als 2000 Riesensternen in vier unserer Nachbargalaxien, den Fornax-, Sculptor-, Sextans- und Carina-Zwerggalaxien zu bestimmen. Diese Zwerggalaxien sind typischerweise 300.000 Lichtjahre von unserer Erde entfernt – rund das Dreifache des Durchmessers unserer Milchstraße. Aufgrund dieser großen Entfernung ließen sich nur die groben Eigenschaften jedes Spektrums aufnehmen, entsprechend einem undeutlichen, verschmierten Fingerabdruck. Die Forschergruppe fand, dass keiner dieser vielen Fingerabdrücke zu einem der seltenen extrem metallarmen Sterne zu gehören schien, die aus unserer Heimatgalaxie bekannt waren.
Nun hat eine Gruppe von Astronomen um Else Starkenburg neues Licht auf dieses Problem geworfen. Die Astronomen nahmen einen sorgsamen Vergleich zwischen gemessenen Spektren und Computersimulationen durch und fanden, dass die Unterschiede zwischen den chemischen Fingerabdrücken normaler metallarmer Sterne und der selteneren extrem metallarmen Sterne subtiler sind, als bis dahin angenommen worden war. Das erklärt, warum es den vorigen Messungen nicht gelungen war, die beiden Sternklassen auseinanderzuhalten.
Außerdem konnten die Astronomen für einige der extrem metallarmen Sterne bestätigen, dass deren Materie sich in der Tat so gut wie im Urzustand befindet. Dazu nahmen sie mit Hilfe des UVES-Instruments am Very Large Telescope der ESO deutlich detailliertere Spektren auf. „Verglichen mit den undeutlichen Fingerabdrücken, die uns bis dahin zur Verfügung standen, war es nun, als würden wir klar definierte Fingerabdrücke durch ein Mikroskop betrachten“, erklärt Vanessa Hill, ein Mitglied der Forschergruppe. „Unglücklicherweise konnten wir so nur vergleichsweise wenige Sterne beobachten, da das Verfahren sehr zeitaufwändig ist.“
„Unter den extrem metallarmen Sternen, die wir in diesen Zwerggalaxien neu entdeckt haben, gibt es drei, bei denen die relative Häufigkeit der schwereren chemischen Elemente zwischen nur 1/10.000 und 1/3.000 dessen liegt, was wir bei unserer Sonne beobachten. Einer dieser Sterne ist der urtümlichste Stern, den wir außerhalb unserer Milchstraße kennen“, sagt Martin Tafelmeyer, ein weiteres Mitglied der Forschergruppe.
„Unsere Arbeit hat nicht nur einige der hochinteressanten frühesten Sterne in diesen Galaxien ausfindig gemacht, sondern es handelt sich um eine neue, höchst effektive Methode, um weitere derartige Sterne zu finden“, schließt Starkenburg. „Von nun an können sich solche Sterne nicht mehr vor uns verstecken.“
Endnoten
[1] Im Sprachgebrauch der Astronomen ist “Metalle” die Sammelbezeichnung für alle chemischen Elemente außer Wasserstoff und Helium. Von einigen wenigen leichten Elementen abgesehen, sind alle diese Metalle durch die verschiedenen Generationen von Sternen hergestellt worden.
[2] Ein Regenbogen führt uns vor Augen, dass sich weißes Licht in verschiedene Grundfarben zerlegen lässt. Astronomen führen diese Zerlegung des Lichts in verschiedene Farben (oder “Wellenlängenanteile”) mit ihren Instrumenten künstlich herbei – allerdings unterscheiden sie dort, wo wir lediglich fünf oder sechs Regenbogenfarben wahrnehmen, hunderter feiner Farbnuancen, die zusammen das Spektrum eines Objekts bilden: eine Übersicht, welche Mengen an Licht der Himmelskörper in jedem der enggefassten Farbbereiche abstrahlt. Die Eigenschaften der Spektren – besonders viel Licht in einigen, besonders wenig in anderen Farbbereichen – geben Aufschluss über die chemische Zusammensetzung der beobachteten Materie
[3] Das Dwarf galaxies Abundances and Radial-velocities Team (DART) besteht aus Forschern von Instituten in neun verschiedenen Ländern.
Weitere Informationen
Der Fachartikel, der die hier beschriebenen Ergebnisse dokumentiert, erscheint in Astronomy and Astrophysics (E. Starkenburg et al., “The NIR Ca II triplet at low metallicity”). Ein zweiter Artikel (Tafelmeyer et al.), der die UVES-Messungen an mehreren der urtümlichen Sterne beschreibt, ist in Vorbereitung.
Die beteiligten Forscher sind Else Starkenburg, Eline Tolstoy, Amina Helmi und Thomas de Boer (Kapteyn Instituut, Universität Groningen, Niederlande), Vanessa Hill (Laboratoire Cassiopée, Université de Nice Sophia Antipolis, Observatoire de la Côte d’Azur, CNRS, Frankreich), Jonay I. González Hernández (Observatoire de Paris, CNRS, Meudon, Frankreich und Universidad Complutense de Madrid), Mike Irwin (University of Cambridge), Giuseppina Battaglia (ESO), Pascale Jablonka und Martin Tafelmeyer (Université de Genève, Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne), Matthew Shetrone (University of Texas, McDonald Observatory, USA) sowie Kim Venn (University of Victoria, Canada).
Die Europäische Südsternwarte ESO (European Southern Observatory) ist die führende europäische Organisation für astronomische Forschung und das wissenschaftlich produktivste Observatorium der Welt. Getragen wird die Organisation durch ihre 14 Mitgliedsländer: Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Österreich, Portugal, Spanien, Schweden, die Schweiz, die Tschechische Republik und das Vereinigte Königreich. Die ESO ermöglicht astronomische Spitzenforschung, indem sie leistungsfähige bodengebundene Teleskope entwirft, konstruiert und betreibt. Auch bei der Förderung internationaler Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Astronomie spielt die Organisation eine maßgebliche Rolle. Die ESO betreibt drei weltweit einzigartige Beobachtungsstandorte in Nordchile: La Silla, Paranal und Chajnantor. Auf Paranal betreibt die ESO mit dem Very Large Telescope (VLT) das weltweit leistungsfähigste Observatorium für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren Lichts, und VISTA, das größte Durchmusterungsteleskop der Welt. Die ESO ist der europäische Partner für den Aufbau des Antennenfelds ALMA, das größte astronomische Projekt überhaupt. Derzeit entwickelt die ESO das European Extremely Large Telescope (E-ELT) für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren und Infrarotlichts, mit 42 Metern Spiegeldurchmesser ein Großteleskop der Extraklasse.
Die Übersetzungen von englischsprachigen ESO-Pressemitteilungen sind ein Service des ESO Science Outreach Network (ESON), eines internationalen Netzwerks für astronomische Öffentlichkeitsarbeit, in dem Wissenschaftler und Wissenschaftskommunikatoren aus allen ESO-Mitgliedsstaaten (und einigen weiteren Ländern) vertreten sind. Deutscher Knoten des Netzwerks ist das Haus der Astronomie am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg.
Links
Kontaktinformationen
Else Starkenburg
Kapteyn Astronomical Institute, University of Groningen
The Netherlands
Tel: +31 50 363 8447
E-Mail: else@astro.rug.nl
Giuseppina Battaglia
ESO
Tel: +49 89 3200 6362
E-Mail: gbattagl@eso.org
Lars Lindberg Christensen
Head of the ESO education and Public Outreach Department
Garching bei München, Germany
Tel: +49 89 320 06 761
Mobil: +49 173 38 72 621
E-Mail: lars@eso.org
Peter Habison (Pressekontakt Österreich)
ESO Science Outreach Network
und stem & mint e.U. – Space and Science Communications
Vienna, Austria
Tel: +43 676 648 7003
E-Mail: eson-austria@eso.org
Über die Pressemitteilung
Pressemitteilung Nr.: | eso1007de-at |
Name: | Fornax Dwarf Galaxy |
Typ: | Local Universe : Galaxy : Size : Dwarf |
Facility: | Very Large Telescope |
Instruments: | FLAMES, UVES |
Science data: | 2010A&A...513A..34S |